Textauszug „Bratkartoffeln mit Speck“ – Rolf Dennemann – artscenico Produktion
Schokoladensuppe bei der Oma war wie eine Jesuserfahrung. Der Teller mit der Suppe hatte einen Heiligenschein. So sehe ich ihn vor mir. War man brav, bekam man abends Schokoladensuppe, warm.
Man durfte sie also brav aufessen, wenn man brav war. „Iss die Suppe brav auf!“ hieß es. Überhaupt sollte alles brav aufgegessen werden – bis man die Figur oder das Tier auf dem Tellerrand sah. Mein Lieblingsteller war der mit dem Hahn und grünem Rand. War der Hahn zu sehen, hatte ich brav aufgegessen. Und der Schlaf unter dem gigantischen Plumeau war ein zufriedener, hatte man doch alles brav aufgegessen und durfte jetzt süß träumen. Ich träumte regelmäßig die Schokoladensuppe weiter.
Auf dem Bauernhof arbeiten Kostgänger, Vettern und Cousinen, Tanten und Onkel, die Oma und der Willi. Eines Tages haben alle Hunger. Die Oma geht auf den Hof und schaut sich um wie sie sich immer umschaut auf dem Hof. Dann packt sie plötzlich zu und hat ein großes weißes Huhn im Arm. Es flattert ein wenig mit ihr herum, mit der Oma. Sie winkt mich kleines Bürschlein heran. Ich stehe vor ihr wie ein Adjutant und denke: Das Huhn will weg. Aber Oma nimmt flugs die Axt, drückt den Kopf des Huhns auf einen Baumstumpf, dessen Oberfläche bereits seit Langem in einem wunderbaren karminrot gefärbt ist. Sie holt aus und – zack- ab der Kopf. Der Kopf kippt von allein vom Stumpf.
Und dann sehe ich, dass mir die Oma eine Vorstellung gibt, denn das Huhn befreit sich aus der Umklammerung und rennt ohne Kopf über den Hof, das Huhn – kopflos und die Oma und ich hinterher. Und es flattert und flattert, fliegt ein paar Meter und rennt gegen das Scheunentor. Ende. Und die Tanten und Onkeln und all die anderen hatten was auf’m Tisch und ich eine unvergessene Performance. Vielleicht hat das damals schon meine Kunstidee befördert, die Faszination für das Vergebliche.
Und ich dachte, warum ist das Huhn fideler, wenn es keinen Kopf mehr hat?
Später habe ich dann noch Enten gerupft, eine wahrlich folterische Angelegenheit. Die Ente war dann im Ofen und die Federn in meinem Bett.