Guten Tag, ich bin Schauspieler

Kein Platz in der Kreativwirtschaft für Darstellende Künstler – zur Lage der Schauspieler und Tänzer

Was verdienen eigentlich all die Künstler, die wir auf den Bühnen und in Filmen bewundern oder eben nur wahrnehmen als Teil der Freizeitindustrie? Da gibt es zwei klassische Klischees, die in den Köpfen der Menschen umherschwirren, wenn sie „Künstler“ hören: Erstens, der arme Poet mit dem Regenschirm, der – darbend – sein Gedicht im Krankenbett hervor quält und dem durchlässigen Dach trotzt oder der abgerissene Schauspieler, der an Straßenecken im Hasenkostüm Prospekte verteilt. Zweitens, die Hollywoodstars auf den roten Teppichen, die sich von jeder Filmgage ein paar Reihenhäuser kaufen könnten. Dazwischen herrscht doch weitestgehend Ahnungslosigkeit.

Wartelisten in der Schicksalsdatei

Es gibt kaum eine sichere Statistik über die Anzahl darstellender Künstler in Deutschland. Man kann von 20.000 ausgehen, inkl. Regisseure, die mit einer Arbeitslosenquote von ca. 20-25% belegt sind. „Kleindarsteller“ sind hier nicht eingerechnet. Aber auf diesem vielfältigen Feld der freien Wildbahn, lässt sich nichts über einen Kamm scheren. Im Idealfall erhält, gemäß dem „Normalvertrag Bühne“ ein Berufsanfänger/Absolvent einer Schauspielschule im ersten Festengagement am Theater bundesweit tariflich 1.600 Euro brutto pro Monat. Die ZAV (Zentrale Künstlervermittlung des Arbeitsamtes) listet 15.000 Profile von Künstlern vieler Sparten auf – vom Filmdarsteller bis zum Visagisten.

Von den rund 5000 Schauspielern, die hierzulande für Film und Fernsehen arbeiten, können etwa zwei Prozent von ihrer Arbeit leben, einer kleiner Teil davon ausgezeichnet. Seit 2008 haben sich die Einkünfte halbiert, die Drehzeiten werden kürzer, die Gagen geringer. Bei den Nebenrollen ist die Ansage: Es gibt 800 Euro pro Tag. Entweder macht man’s dafür, oder man lässt es. Dann greift ein anderer zu, denn die Tendenz geht zu 500 Euro. Man ist schon ein erfolgreicher Darsteller, wenn man monatlich im Schnitt 2 Drehtage hat. Natürlich gibt es auch höhere Gagen, aber nur solange man gefragt ist. Grundsätzlich sind die Gagen frei aushandelbar. Man macht es selbst oder überlässt dies seiner Agentur, falls man denn eine hat. Sehr wenige können sich aussuchen, welchem Drehbuch sie vertrauen wollen. Selbst ein Darsteller, der schon seine 40 bis 50 Film- und Fernseheinsätze für kleine und mittlere Rollen hinter sich hat, wird sicher keinen Anruf von Wolfgang Rademann erhalten mit der Anfrage, ob er nicht mal eine Rolle im „Traumschiff“ übernehmen wolle. Dafür müsste man die Serie „Schlickrutscher“ schreiben, die auf der Santa Monika spielt, die den Kanal auf- und abtuckelt.

Der Traum vom Funkeln der Sterne

„Früher träumte jede einigermaßen begabte Schauspielerin davon, eines Tages ein Star zu werden. Heute ist es genau umgekehrt: Wir haben eine Unmenge Stars, aber kaum eine von ihnen denkt auch nur im Traume daran, eine Schauspielerin zu werden!“ Ein Satz von einem Produzenten. Für viele freie Schauspieler war es früher der Traum, es ins Stadttheater zu schaffen. Das hat sich leicht geändert, denn dort wird nur an den größeren Häusern gut bezahlt. Und Flexibilität bringt zusätzliche Jobs, sei es als Sprecher, Moderator oder Leser. Furcht erregender sieht es beim Tanz aus. Nicht nur, dass die Jahre auf der Bühne gezählt sind, sondern Tanzcompagnien werden eher abgebaut als gegründet. Es werden viel mehr Tänzer ausgebildet als es je Arbeitsplätze geben könnte. Sie arbeiten also frei, schutzlos und oft naiv, flitzen von einer Audition zur nächsten. Manche gehen in die Schulen, um den Kleinen Bewegung beizubringen, geben Unterricht oder schlichtweg auf. Einige allerdings haben im Freien Spiel der Projekte so viel zu tun, dass sie keine einzige Ensemblebildung erleben werden und verlieren den Überblick. Die Besten der Guten haben eine Chance – das gilt für Drama und Tanz, kommt aber wiederum darauf an, in welcher Stadt sie leben oder arbeiten.

Freies Spiel für freie Gage

An manchen Stadttheatern werden mehr und mehr Laien eingesetzt, Jugend- und Altenclubs gegründet und in den Spielplan übernommen, oder man verbündet sich mit der Freien Szene. Das spart. Aus den Reihen der Studenten der Theaterwissenschaften drängen frische Kräfte, die sich direkt in die Darstellung werfen und somit den Profischauspieler überflüssig machen. So ist das. Die Kunst ist durch Freiheit geschützt. Die Kommunen, in denen sie arbeiten, die Darstellenden und anderen Künstler, sind zuständig für Kultur und manche haben dafür eben kein Geld oder brüsten sich, eben doch Geld dafür zu haben, scheuen sich aber, Unterschiede zu machen. Sie streuen das Wenige in die Szene, auf dass man froh und munter ist und die „bunte, vielfältige freie Szene“ sich entfalten kann.

Dass man auch mit wenig oder gar ohne Gage etwas machen kann, liegt in der Entscheidung jedes einzelnen und manch eine Produktion wäre ohne dieses Engagement nie zustande gekommen. Das solle die Ausnahme sein und liegt an der Kraft des Konzeptes, an den beteiligten Personen und den Zielen einer solchen Produktion.

Jammertal Ruhr

Das Feuilleton kommt nicht ins Revier, um sich freie Produktionen anzusehen, es sei denn, Besetzung oder Macher wurden schon vom Feuilleton bedacht. Wirklich hier entstandenes kommt selten über die Grenzen der Lokalberichterstattung hinaus, aber das ist ein anderes Thema. Verdient wird nach Projektförderung und die ist in den meisten Ruhrgebietsstädten beschämend bis nicht vorhanden. Hier hat sich eigentlich nur Dortmund ein gewisses Förderniveau erhalten.

Wohin mit dem Flüchtigen?

Es werden keine Gewinne gemacht, es wird keine Ware hergestellt und Darstellende Kunst ist flüchtig. Da ist der Begriff „Wirtschaft“ wirklich fehl am Platz und so hört man im Zusammenhang mit „Kreativwirtschaft“ nichts von Schauspiel und Tanz. Auch da gäbe es Synergien, die Wirtschaft und Kunst miteinander verbinden könnten. Nur – die handelnden Personen findet man selbst mit einer Lupe nicht. Welches große Unternehmen sponsert Theater oder Tanz, vor allem, wenn es nicht in musicalbereiten Fahrwassern gleitet, wenn es „nur“ als ein Stück daherkommt und maximal die lokale Presse davon Kenntnis nimmt?

Internationale Verarschung

Dass man oft Spielball von Produzenten ist, zeigt die neue Webseite „Art leaks“ – http://art-leaks.org/ auf der sich Künstler melden können, die kein Geld bekommen haben oder zu wenig. Sehr erfolgreich ist die facebook-Plattform art but fair. Hier sieht man, dass es international oft so ist, dass der Wunsch nach Erfolg und Berufsausübung schamlos ausgenutzt wird. Das „Geschäftsgebaren“ wird auch in Deutschland deutlich dreister. Schon Studentenregisseure laden zum Casting und haben keinen blassen Schimmer im Umgang mit Schauspielern, behandeln sie teils unaufmerksamer als ihre Geräte, z.B. die Kamera.

Werbung ist geil

„Wow! Ich bin angefragt für einen Werbespot, “ hör ich mich sagen. Die Telekom startet eine neue Kampagne. Das Casting ist in Hamburg. Es geht also mit der Bahn morgens um sieben nach Hamburg. In einem ehemaligen Fabrikgebäude ist das temporäre Castingstudio angesiedelt. Man füllt einen Zettel aus, soll noch warten. Es kommt ein Kollege dazu, der aus Freiburg angereist ist. Text: Es handelt sich um zwei Fußballfans, die ein paar Worte wechseln. Nach dem üblichen zeigen der Hände und des Profils wird ausprobiert, mal mit Schal, mal ohne. „Danke, das war’s.“
Schnell wieder zum Bahnhof, zurück in den Pott. Abends ist Vorstellung. Bekomme einen Anruf. Ich bin in der zweiten Runde. Wieder morgens hin, nach ca. zwanzig Minuten „Casting“ wieder zurück. Der Spot-Regisseur hatte plötzlich den neuen Text gestrichen. Also Improvisation. Zurück und denken „das war Scheiße“ und
gleichzeitig „das wär toll“. Für den gesamten Einsatz bekomme ich dreißig Euro Fahrtkosten-Unterstützung und über die Agentur die Mitteilung, man habe sich anders entschieden.

Werbung für eine Automarke. Casting ist in Köln in einem Hinterhof in einer kleinen Castingbude. Ich soll einen Reporter mimen. Nach fünf Minuten bin ich wieder raus. Nicht mal einen Hauch von Fahrgeld. Sehe Monate später den Spot im Fernsehen. „Schlecht“, denke ich. „Hätt ich besser gemacht.“ Castings für Werbung sind ein großer Test für das Selbstbewusstsein und meistens klappt es eben nicht, weil Dutzende eingeladen werden und der Auftraggeber entscheidet irgendwie irgendwo. Und wer glaubt, hier gäbe es als No Name das große Geld, hat sich getäuscht. Die Auftraggeber sind der Ansicht, dass man durch die Präsenz in den Medien stolz drauf sein sollte. Ein Tausender ist schon viel, aber eigentlich abzuraten. Dann holen sie sich jemanden von der Straße, der nicht an seinem Beruf zweifeln kann.

Angesagt und abgesagt

Noch vor ein paar Jahren hat man die Einladung zum Gespräch mit dem Regisseur bekommen. Heute wird für Nebenrollen fast nur noch gecastet. Ich bekam eine Anfrage für einen Kinofilm mit einem bekannten Comedian. Rolle: Ein Holländer mit Akzent. Na klar, soll sicher klingen wie Rudi Carell. Drehbuch ist da, Text gelernt, schlaflose Nacht vor der Anreise zum Dreh. Einen Tag vorher erhalte ich die Absage. Die Verträge kommen nicht umsonst oftmals unterschrieben erst nach den Drehtagen oder währenddessen. Termine ausgeräumt, Text gelernt, alles für die berühmte Katz. Zwei Wochen später wieder eine Anfrage. „Mach ich gern“, sag ich, erhalte Text, Drehtag und den Anruf zu den Konfektionsgrößen. Ein paar Tage später dann: Absage. Die Szene sei gestrichen worden.

Gut, dass ich mich nicht abhängig gemacht habe von Drehtagen und Castings, aber viele sind es oder waren es. Manchmal tut es gut, eben nicht entscheiden zu müssen, was getan wird und was nicht und da kommt der Hin-Und-Wieder-Job „Filmschauspieler“ als Ausgleich daher, und das jedes Mal mit großen Lern- und Erfahrungsfaktor. Kürzlich musste ich in eine Art Ganzkörperkondom schlüpfen und wusste, wie sich die Darsteller in Woody Allens „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ (1972) fühlten.

Es gibt immer mehr Fernsehsender, die immer mehr zeigen, aber entweder, sie kaufen Serien und Filme ein, sie arbeiten mit Senderschauspielern oder es werden so viel wie möglich Nebenrollen gestrichen, um Kosten zu sparen. Alle machen das mit, jeder will sein Ding letztlich machen. Und die meisten haben eben Nebenrollen, so wie es mehr Etagen- als Parterrewohnungen gibt.

Immerhin Theater

Das Theater als „Größe des Direkten“ bietet den Spielerinnen und Spielern eben das Knarren der Bretter, den Live-Applaus des Publikums und die Lobeshymnen des Lokalkritikers. Man wird auf dem Markt gegrüßt und kann sich in die Kantinengespräche einbringen. Und wenn man im dunklen Raum sitzt und den Ausschweifungen der Regie lauscht, ist einem die Welt da draußen für einige Stunden scheißegal. Das hat auch was. Viel Spiel und wenig Brot.

Wenn man so manchem zuhört, scheinen sich wirklich die Kantinengespräche ins Leben zu drängen als eine Art Nestthema. Es hat etwas Abschottendes, Besonderes, wenn der Mime Interna verteilt und sich über Kollegen und Regisseure auslässt. Und natürlich gibt das Leben nicht allzu viel her, wenn man nicht im Austausch ist. Als freischaffender Schauspieler ist Flexibilität Pflicht. Der Koffer steht immer gepackt im Flur. Manche haben sich einen Wohnwagen zugelegt. Bei der Frage nach den Wohnorten, kann man „überall“ angeben. Das spart Hotelkosten.

Privilegierte Ausübungen auf Brettern

Letztlich ist es eine Lebensweise, die Tänzerin, Schauspieler und andere an den Tag legen müssen. Welch ein wunderbares Gefühl es ist, von herzlichem Applaus umgeben zu sein, eine Rolle, ein Projekt mit Inhalt zu füllen, Menschen Bewunderung abzuzapfen, dem für viele Überflüssigen zu huldigen! Davon zu leben, eigene Ideen in künstlerische Wirklichkeit umzusetzen, dies zu können, ist ein Privileg. Und meistens sieht das „Lotterleben“, von dem die ganz Unbedarften sprechen, keineswegs lotterig aus. Ohne Zeit der Muße wird besonders der Künstler verrückt – über den dafür notwendigen Grad hinaus.

Und die Schlechten, Untalentierten und Schludrigen unter uns, den Darstellern und Bewegern, bleibt die Provinzposse. Oder man erlebt das Schicksal, ermordet zu werden, wie es ganz wunderbar in Woody Allens „Bullets over Broadway“ (1994) endlich mal passiert ist.

El Dorado ist woanders

Im Ruhrgebiet als Tanz- oder Sprechkünstler zu überleben, ist wahrlich eine Unternehmung, die zu kreativen Höchstleistungen herausfordert, vor allem im Managementbereich. Es fehlt an Umfeld, an Akzeptanz, an Produzenten, an Zutrauen. Die Möglichkeiten, freie Arbeit als Schauspieler anzubieten stoßen auf nur wenige Orte und Projekte oder umgekehrt sind freie Schauspielerinnen hier dünn gesät, wenn wir von Profis sprechen. Es gibt kaum Produktionsfirmen für Film, kaum Strukturen.

Wie viel Brot für Spiele

Aber was verdienen denn nun die freien Kräfte auf den ach so freien Bühnen? Hier gibt es keinen Normalvertrag. Bier oder Selters, heißt es hier, Sekt gibt’s bei Aldi. Es gibt immer weniger Gastspiele für festes Honorar. Rechnen wir mal. Ein Ort für 99 Zuschauer ist ausverkauft bei einem durchschnittlichen Eintritt von 12 Euro – abzüglich neun Freikarten für Mutti, Freundin, Kollege und der Volontärin von der Presse – das macht brutto an der Kasse € 1.080,00. Auf der Bühne spielen sechs Schauspieler, ausgeschüttet werden 600,00. Okay, 100 Piepen am Abend. Nicht schlecht, wenn man im Monat zwanzig Auftritte hätte, aber wer hat die schon? Vielleicht die Comedians, aber die bekommen bei mittlerer Fernsehpräsenz mindestens das Zwanzigfache.
Aber oft kommen eben weniger zu den Veranstaltungen. Also macht man Solo- oder Duostücke. Überhaupt – das Publikum. Man kann sich nicht mehr darauf verlassen. Es kommt, wann es will.

„Im Ernst, wenn’s nur zwei Wochen dauert, am Ende die Kohle stimmt und möglichst noch bei uns in der Gegend gedreht wird, dann spiele ich Ihnen auch ein Pferd“ (Emily Watson)

Verbände, die sich über Mitglieder freuen: Verband freie Darstellende Künste NRW e.V. Dachverband Tanz Deutschland IG Medien Bundesverband Freie Theater – und vor allem der Bundesverband der Film- und Fernsehschauspieler

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