Wenn die Sonne schwarze Ränder hat

Geeignete Orte für schlechte Stimmungen

Egal, wo auf dieser Welt: Wenn der Kummer über den Menschen kommt, ist der Frühling eher eine Bedrohung, werden die Schönheiten der Heimat zu Orten des Untergangs. Wen die Liebe sich dem Zerbrechen naht, sollte man eher auf die Tristesse von Industriebrachen setzen als auf schöne Aussichten. Es gibt keinen besseren Ort für Grambewältigung als die schäbigsten Ecken des Ruhrgebiets. Da kommt der seelische Zustand der Unglücklichen mit der Landschaft zusammen. Man braucht die Unterstützung der lieblosen Fläche, um sich nach Farbe sehnen zu können. Hier geht es weder um Politik, noch um die Welt der Innovation, noch um kulturelle Ereignisse. Es geht schlichtweg um Kummer und um Verlust, keine schöne Themenlinie fürwahr und ein wahrlich altmodisches Thema.

Nestwärme

Der Lieblingsphilosoph der deutschen Hausfrau, Richard David Precht, äußert sich mal wieder über die Liebe und attestiert ihr nur eine temporäre Kraft. Sie vergeht meist mehrmals vor dem Tod. Lange, aber doch für einen begrenzten Zeitraum ist man „beziehungstechnisch“ in gutem Zustand. Aber dann: Alle Widrigkeiten wurden überwunden, ein Nestbau hat allerdings nie stattgefunden, aber der Wunsch des Nestbaus steht gesellschaftlich wieder an vorderer Stelle. Der Mensch, zumal der allein stehende, braucht früher oder später eine Orientierung, die ihm und ihr in der Kälte der Entscheidungen ein warmes Feld der Sicherheit gibt, um sich zu erhalten. Nicht umsonst versprechen manche Personalchefs Nestwärme, um ihre Belegschaft kreativ und produktionseifrig ins Kuscheln zu bringen. Aber keine Kantine, keine Arbeitsplatzerotik, keine Erfolgsprämie ersetzt das Private, und sei es noch so öffentlich. Und hier spielt es dann eine umso größere Rolle, wo wir uns befinden. Welches Umfeld liegt vor uns, wenn wir innerlich zerbrechen? Wo sind die Auffangbecken, die uns wieder aufrichten? Stürzt man sich in die Kulturangebote, um sich abzulenken, um Impulse zu erhalten?

Die Welt ein Kummerfeld

Erst in der persönlichen Seelennot spürt man die Atmosphäre einer Kommune, einer Stadt. Das scheint eine kühne Behauptung, aber alle, die es erfahren haben, werden zustimmen. Für den Liebeskummer tragenden jungen Menschen sind die Möglichkeiten noch vielfältig, überall im Lande: Leiden, ausgehen, Freunde treffen, mehr saufen als sonst, Suizid-Gedanken mit allen Endvarianten -von Autobahnbrücke bis Pillen, Leistungsabfall am Arbeitsplatz oder im Lerninstitut. Mädchen schneiden sich die Haare ab, Jungs spielen 24 Stunden Videospiele, sie chatten stundenlang, posten Kätzchenbilder in facebook, nutzen ihre Flats ohne abwinken. Der ältere Mensch kommt eigentlich als Liebeskummeropfer nicht vor. Man trifft ihn und sie in VHS-Kursen. Sie melden sich bei Sport- und anderen –vereinen an. Es gibt welche, die sieht man bei Ü-50-Parties. Aber in der Regel ist das soziale Umfeld in der Heimatstadt verdünnt, oft verschwunden. In Café und Bistros herrschen Stil und Ambiente, läuft Flughafenmusik, schmeckt der Macchiato automatisch und es vibrieren die Smartphones – keine Orte zum Ausheulen. In den paar Cafés, die noch Bohnenkaffee anbieten, parken dutzende Rollatoren, keine Orte, an denen der 50-jährige Trost findet.

Orte des Trostes für den Best-Ager

Die Vertreter der Generation Gold, Generation 50plus, Silver Ager, Golden Ager, Third Ager, Mid-Ager, Master Consumer, Mature Consumer, Senior Citizens und over 50s gehen auch nicht zum Therapeuten, der meist viel jünger ist und an Lebenserfahrung eben ärmer als sie. Man braucht Orte mit Überblick, z.B. an einem Nieselregentag auf der Aussichtsplattform des Gasometers in Oberhausen. Der Blick aufs umliegende Ruhrgebiet ist getrübt wie die eigene Seele. Hier kann man Entschlüsse fassen, die weit weg sind vom Sturzgedanken. Auch auf der Halde Haniel ist Gottesnähe nach „oben“ und Entfernung zur Arbeits-Welt „da unten“ groß genug, ein klein wenig mit sich ins Reine zu kommen und mag dies noch so schmutzig sein. Wenig hilfreich ist der schöne Rombergpark in Dortmund und Parks ähnlicher Ausrichtung. Da empfiehlt es sich eher, ein Stück Wald zu finden, dem noch nicht der Schönheitsbesen die Leviten gelesen hat, wo man sich noch einen märchenbösen Wolf vorstellen kann oder eine Fee, die sich des einen Wunsches des Kummervollen annehmen würde.

Auch der Zoo ist keine wirkliche Alternative, sieht man doch hin und wieder ältere Herrschaften, die vor den Orangs stehen und beobachten wie Frau Orang Herrn Orang zärtlich streichelt. Wer dann allerdings denkt: „Ich würde gerne tauschen“, der ist auf dem richtigen Weg, über Humor zurückzufinden ins fröhliche Leben.

Hilflos im Revier

Der ältere, von Trennung bedrohte Mensch, ist ansonsten genau so temporär hilflos seiner Umwelt ausgesetzt wie der junge, nur naturgemäß mit weniger Perspektive auf das, was da kommen mag. Mir erklärte derjenige, der derzeit von dieser Unbill befallen ist: „Bei Tageslicht, in der täglichen Routine denkt das Hirn nur unentwegt gestört, beim Frühstück schmeckt das Ei nach Fisch, beim Einkaufen dominiert die Emotion, Angst frisst Seele. Die Kinder sind aus dem Haus und meine Zimmerpflanze spricht nicht mit mir. Wahrnehmung funktioniert nur zu 50%. Nachts fühle ich mich wie ein enttäuschter Fünfzehnjähriger, werde wach, schwitze, bin ein einziger Gedankenwust.“ Das klingt kreativ und vielleicht hilft das gute alte Basteln. Nur – einen neuen Partner kann man sich nicht basteln.

Der kreative Anfall

Wenn nicht basteln, so führt doch die trübe Seelenlage oft zu ungeahnten kreativen Ergüssen, handelt es sich um Erfindungen oder Lyrik. Das beweisen die vielen Biografien, die uns erzählen, dass der Mensch überwiegend schöpferisch zu Höchstform anläuft, wenn seine Seele ins Rutschen gerät. Das gilt zumindest für die Schriftstellerei. Es ist aussichtsreich, sich auf einer Brache in den Nieselregen zu setzen und ein Gedicht über die Sonne zu schreiben. „Ein Schmetterling auf der Halde kann das Leben verändern“, ist sich der Romantiker sicher. Ist dieser gleichzeitig Grafikdesigner oder Filmemacher, kann der Schmetterling zu einem Animationsfilm führen, der zumindest beim Festival „Blicke aus dem Ruhrgebiet“ eine Chance hätte.

Es gibt nur wenige erfolgreiche Hollywood Filme, die ohne Beziehungskonflikt auskommen. Allerdings stammt hier nur die erste Drehbuchfassung von einem Trübsinnigen, die dann von den coolen Produktionskorrekteuren in edlen Büros, umgeben von Emotionsexperten, in die Kinogänger-Version verwandelt werden.